Über die Lebensbedingungen zu Anfang der Besiedlung liegen uns keine Funde vor. Es bleibt der Fantasie überlassen, sich Vorstellungen über Lehm- oder Buschwerkhütten, auch Höhlen könnten es gewesen sein, die mit Kraut, Moos oder Fellen und einer primitiven Feuerstelle ausgestattet waren, zu machen. Voraussetzung war aber, wie für alles Leben, Wasser in der Nähe zu haben. Alle lebten in großen Familienverbänden, die vom Erfahrensten geführt wurden, zusammen. Gepflanzt, gesammelt und gejagt wurde alles, was zum eigenen Überleben nützen konnte. Ab irgend einem Zeitpunkt wurde zu diesem Zweck auch die Haus- und Nutztierhaltung aufgenommen. Man lernte Wolle zu verarbeiten und Leder herzustellen, Fleisch und Nahrungsmittel auf verschiedene Arten zu konservieren. Es begann die Zeit der Spezialisierung nach unterschiedlichen Fähigkeiten auf Handwerksberufe. Mit zu den ersten gehörten Weber, Schneider, Schuhmacher und die Verarbeiter von Holz und einheimischen Bodenschätzen wie Schmiede usw. Häuser wurden aus aufgestellten Holzrahmen, dem Fachwerk, deren Gefache mit Flechtwerk aus Ästen oder aufgespaltenen Hölzern, den Schiewerstöcken“, ausgefüllt und dann mit einem Gemisch aus Lehm und Strohhäxel verputzt wurden, errichtet. Damit entwickelte sich langsam eine Lebensform, die wir nachvollziehen können. Mit den Bedingungen zu dieser Zeit, die nur vom Willen zum Überleben bestimmt waren und hohen körperlichen Einsatz erforderten, hätten wir aber heute große Schwierigkeiten.

In den Familien lebten meistens drei Generationen zusammen. Vor allem die Kinder hatten nicht jedes sein eigenes Bett. Obwohl bis zum Beginn von Schutzimpfungen die Kindersterblichkeit als Folge von Diphtherie, Blattern, Scharlach oder Stickhusten sehr hoch war, war die Zahl der Familienmitglieder größer als heute und jeder, ob jung oder alt, hatte nach seinen Kräften mitzuarbeiten. Das begann bei den Kindern im frühen Alter mit Hilfsarbeiten und Handreichungen. Als die Zeit der Gemeindehirten vorbei war, gehörte u.a. dazu auch das Hüten der Kühe. Wenn die Verhältnisse so waren, daß es keine eigene Tiere gab, wurde diese Aufgabe schon vertraglich für z.B. ein Paar Schuhe und eine tägliche Mahlzeit während der Saison bei anderen übernommen. Geschwister der Hoferben, die keine Gelegenheit hatten, in andere Familien einzuheiraten, blieben vielfach als ledige Arbeitskraft in ihrer Familie. In der Zeit, als es noch keine soziale Absicherung gab, war dies die gängige Form der Altersvorsorge. Ledige Frauen waren in manchen Fällen auf die Unterstützung durch außereheliche Kinder angewiesen. Manche suchten ihr Glück in der Auswanderung oder ließen sich als Söldner anwerben.. Mut und Abenteuerlust waren nicht immer der Grund. Die Situation der weichenden Erben änderte sich grundsätzlich mit Beginn der Industrialisierung. Viele von ihnen gingen ins Bergische“. Aus dieser Zeit stammt auch die Feststellung, dass Wuppertal die größte Waldeckische Stadt sei.

Wenn Brautleute heiraten wollten, waren mehrere Genehmigungen nötig. Kam der Ehepartner aus einem anderen Ort, musste der Gemeindevorstand einverstanden sein. Kam der Partner nicht aus Waldeck sondern aus dem Ausland“ oder wollte sich jemand im Ausland oder durch einen ausländischen Geistlichen, gleich welcher Konfession copulieren“ lassen, musste die Regierung einverstanden sein. War dies nicht beachtet und der Ehemann aber, falls er einer unserer Unterthanen, die Frau aber eine Ausländerin ist, diese so wenig als die von ihr geborenen Kinder kein Recht haben in unseren Landen aufgenommen zu werden. Falls der Ehemann aber ein Ausländer und die Ehefrau eine Waldeckerin hat sie das Recht als Innländerin verloren und muss ihrem Mann in dessen Heimat folgen“. Die innländischen Geistlichen“ waren vor Trauungen verpflichtet zu prüfen, ob alle gültigen Vorschriften beachtet waren. Dazu gehörte auch ein Ehecontrakt. Er wurde von den Brautleuten und ihren Eltern vor einem Notar oder dem Pfarrer geschlossen und regelte alle vermögensrechtlichen und persönlichen Fragen. Dazu gehörte auch die Regelung der Erbschaften und der Altersfürsorge für die Eltern. Diese Regelungen finden sich neben anderen in der Verordnung, die Proclamationen und Copulationen betreffend“ im Waldeckischen Regierungsblatt vom 14.11.1826 veröffentlicht. Wenn eine Familie aus einem anderen Ort zuziehen wollte, musste sie ein bestimmtes Vermögen vorzeigen können. Da es keine Sozialversicherung gab und Gemeinden in Fällen von Armut helfen mussten, sicherten sie sich auf diese Art vor Zuzug von Armen ab. Zur Regelung dieser Fälle gab es in jedem Dorf eine Armenkommission.

Es ist für uns heute auch nicht mehr vorstellbar, wie lange der Glaube an Hexen sich bei unseren Vorfahren halten konnte. Im Jahre 1592 waren Hans Behlen und die Schultesche von Reney der Zauberei halber“ angeklagt worden. Das bedeutete in den meisten Fällen den Flammentod. Im Jahre 1597 erhielt Meister Hanßen“, der Scharfrichter, 16 Gulden 8 Pfennige weil er in unterschiedlichen peinlichen Sachen gegen Wilhelm Vogt von Reney, Georg Greben von Usseln, Adam Hammer Schmids Frauen von Willingen, Grotes von Fürstenberg und Dilges von Nieder Ense wegen bezigtigter Zauberey sein Amt gebraucht“. Aber auch noch als bei dem großen Feuer im März 1822, über das an anderer Stelle noch mehr berichtet wird, in Pampes Hause Marie Catharine Sude, eine Weibsperson ledigen Standes, 65 Jahre alt, die in dem Hause unterwärts der Kirche in den Keller geflüchtet war“ verbrannte, wurde im Volksmund später aus der verbrannten Frau eine Hexe“ und in der Umgebung des betreffenden Hauses hat es ständig gespukt“. Der alte Figge, v. Pampes, wollte einmal ein in der Hauswand befindliche Kellerloch zumauern. Weil man einen Racheakt der Hexe“ für möglich hielt, versuchten die Nachbarn jedoch ihn davon abzuhalten. Er mauerte das Kellerloch trotzdem zu. Seit dieser Zeit spukt“ es aber an dieser Stelle nicht mehr.

Eine ausführliche Schilderung der Kleidung jener Zeit findet sich in der Schulchronik von 1882. Lehrer Frese schreibt dort: Vor etwa 40 Jahren wurden hier von dem männlichen Geschlechte noch kurze Hosen, Schuhe mit Schnallen oder lange Stiefeln und weiße leinene Kittel von selbst gewebtem Leinen getragen. Bei festlichen Gelegenheiten trugen die Männer weiße, selbst gestrickte Handschuhe und hohe Hüte, ähnlich dem jetzigen Zylinder, nur das dieselben aus grobem Filze waren. Für gewöhnlich bildete die Kopfbedeckung eine weiße mit blauen Streifen verzierte baumwollene Zipfelmütze. Die Frauen trugen ihr Haar in einem breit geflochtenen Zopfe, der mit einem Kamme aufgesteckt wurde. Darauf setzten sie als besonderen Schmuck ein fein gestricktes Mützchen mit breiten, seidenen Bändern, welche im Volksmund Nebelkappe genannt wurde. Zur Vervollständigung des schönen ländlichen Frauenanzuges wurde über dem großblumigen Tuche, welches im Rücken durch Stecknadeln in zierliche Fältchen gesteckt war, ein weißer, krauser Hemdkragen getragen, welchen sie Koller nannten. Zum Kirchgange, besonders zum heiligen Abendmahl, wurden statt schwarze, wie es jetzt Gebrauch ist, batistene weiße gestickte, mit Spitzen besetzte Tücher getragen. Ebenso wurde dann auch das schwarze Mützchen mit einem weißen, dem sogenannten Schleier, vertauscht. Taschentücher kannte man nicht. Dieselben wurden durch große Servietten ersetzt, welche in einem Viereck zusammen gefaltet und mit einem Rosmarienzweig auf dem Gesangbuch in beiden Händen getragen. Auf Reisen oder auch im Winter musste ein leichter Mantel aus großblumigem Kattun, mit Flanell gefüttert, gegen Wind und Wetter Schutz bieten. Die Fußbekleidung bestand aus niedrigen, tief ausgeschnittenen Pantoffeln mit großen Lederrosen, in deren Mitte ein weißer Knopf genäht war. Leider hat die einfache und doch so kleidsame Nationaltracht der jetzigen modernen fast gänzlich weichen müssen und sind es nur noch wenige alte Leute, die an den Sitten ihre Voreltern fest gehalten haben.“

Den Lauf der Zeit bestimmten Kirche und Arbeit. Die kirchlichen Feiertage und Sonntage teilten das Jahr in Abschnitte. Der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes war noch Dienst.“ Die Gliederung des Tages übernahm die Beteglocke“. Genau so selbstverständlich wie zum Morgen-und Abendgebet wurde beim Läuten mittags um 11 Uhr die Arbeit unterbrochen, die Pferde angehalten, die Kopfbedeckung abgenommen und die Hände zum Gebet gefaltet. Wenn ein Feld fertig gesät war, betete der Sämann. Sonntags wurde mit dem Kutschwagen die Verwandtschaft besucht.

Das für Mensch und Tier sowie den Haushalt benötigte Wasser musste aus Brunnen an verschiedenen Stellen des Dorfes geholt werden. Von einigen ist die Lage im Aufsatz: Die Gemeinde“ beschrieben. Daraus entwickelten sich dann im Laufe der Zeit mehrere private Wasserleitungen. Die erste Gemeindewasserleitung für alle Einwohner wurde erst 1954 gebaut Brot wurde noch bis weit nach 1900 selbst gebacken. Ein Teil der Bauernfamilien hatten eigene Backöfen. Diese wurden an Backtagen im 3 – 4wöchigen Turnus von Nachbarn und Tagelöhnern“ gegen entsprechende Backholzlieferung und oder andere Dienste mit benutzt. Die Waschtage, ca. alle 4 Wochen, waren für Hausfrauen und Mägde“ immer mit viel Arbeit verbunden. Die Wäsche wurde eingeweicht, vorgewaschen, gekocht und auf einem Waschbrett tüchtig gerubbelt. Im Frühjahr wurde das im Winter gewebte frische Leinen auf einer Wiese ausgebreitet und durch die Sonne und öfteres Gießen gebleicht. Im übrigen bestimmte die Stallarbeit, von Frühjahr bis Herbst Saat und Ernte und im Winter das Dreschen den Tagesablauf. Es kann hier nicht auf alle Einzelheiten eingegangen werden. Es ist aber nachzuempfinden, dass wenn beim Dreschen mit dem Flegel die Arbeit vor Tageslicht begann und abends erst bei Dunkelheit endete, ein harter Arbeitstag zu Ende war. Aber auch Anlass für etwas Abwechslung ergab sich aus der Arbeit. Unangenehm war sicher die jährliche Schafwäsche. War die Arbeit aber geschafft, lud der Schafherr“ zur Nachfeier ein. War die Ernte beendet, feierte jede Familie mit ihren Helfern ein eigenes Erntedankfest. Im Winter traf man sich zum gemeinsamen Spinnen in Gruppen zur Spinstube.“ Bei jüngeren Leuten gab es hier, wenn die Jungens“ dazu kamen, einen fröhlichen Abschluss. Wenn der schwarte Huonig“ gekocht wurde, wurden in Nachbarschaftshilfe und lockerer Runde die Zuckerreuben geschrappt“ Wer den Spaß noch nicht kannte wurde von einem Nachbarn zum anderen geschickt um die Honigleiter“ zu holen. Wenn geschlachtet war, kam die Nachbarschaft zum Kesselspeck“. Die Familien der Tagelöhner bekamen eine Kanne Wurstesuppe“ und was von der Schlachte“. In vielen Häusern wurde im Winter der Webstuhl aufgestellt. Im Herbst musste erst der selbst geerntete Flachs geröstet und von Schiwwe“ befreit werden. In mehreren Arbeitsgängen wurden dann die Fasern zum Weben vorbereitet. Wenn gewebt werden sollte kam der Leineweber Glimm von Benk-hausen und bäumte auf (die Kettfäden). Arbeitsfrei war nach und vor der Stallarbeit der Tag des Adorfer Viehmarktes Anfang August. An diesem Tag wurden die Kühe wegen des kurzen Weges gern auf eine möglichst hofnahe Weide getrieben. Dass der Hausherr Weihnachten und Neujahr seinen Tieren gute Wünsche brachte, war sicher auch im eigenen Interesse.

Als der elektrische Strom seinen Einzug in die Häuser hielt, verschwand die bis dahin sehr primitive Beleuchtung mit Hängelichtern (Öl) und dann mit Petroleum. Teilweise wurde auch Carbid eingesetzt. In erster Linie wurde aber der lange Arbeitstag damit produktiver. Erst dann dachte man auch an die verbesserten Möglichkeiten, die knapp bemessene Freizeit zu gestalten.

Einen besonders tiefen Einschnitt bedeutete für Rhenegge der Beginn des 2. Weltkrieges. Teilweise schon einige Tage vor dem deutschen Einmarsch in Polen wurden Dienstpflichtige zur Wehrmacht und nicht fronttaugliche“ in sogenannte Baukompanien zu Schanzarbeiten am Niederrhein eingezogen. Nur wer gesundheitlich nicht tauglich war oder aus Versorgungsgründen als unabkömmlich eingestuft war, konnte zu Hause bleiben. Bei Landwirten hieß das, nachbarliche Betriebe, bei denen alle Männer eingezogen waren, zumindest beratend zu unterstützen. Aber auch viele Rentner wurden zu besonderen Arbeiten dienstverpflichtet. Die Hauptlast der Arbeit für Familie und in vielen Fällen auch des landwirtschaftlichen Betriebes lag auf den Schultern der Frauen. Es ist heute kaum noch vorstellbar, welche Leistung neben der Sorge um ihre im Krieg befindlichen Angehörigen von ihnen in dieser Zeit verlangt wurden.

Noch durch Zeitzeugen belegt sind die Schilderungen der Lebensmittelbewirtschaftung und die Regelung zum Bezug weiterer bewirtschafteter“ Güter während des 2. Weltkrieges und teilweise noch bis 1949 sowie die Unterbringung von Bombenflüchtlingen“ und Heimatvertriebenen Personen aus kriegsgefährdeten Gebieten, Zur Zuteilung von Lebensmitteln wurde die Bevölkerung in die Gruppe Kinder bis 6 Jahre, Normalverbraucher über 6 Jahre und Selbstversorger eingeteilt. Von der Gemeindeverwaltung wurden Lebensmittelmarken für jede Person mit meist monatlicher Gültigkeit ausgegeben. Auf diesen Karten befanden sich kleine Abschnitte mit aufgedruckten Mengen-und Artenangaben für z.B. Zucker, Nudeln, Marmelade, Öl, Fleisch, Backwaren, Mehl usw. Auch für Waschmittel und andere Artikel des täglichen Bedarfs gab es auf diesen Karten Abschnitte, die beim Einkauf abgeschnitten wurden und von den Geschäften als Beleg für ihren der Regelung entsprechenden Umsatz bei den Behörden vorgelegt werden mussten. Die zugeteilten Mengen und Arten richteten sich nach der jeweiligen Versorgungslage und wurden im Verlauf der Zeit immer geringer. Bei Fleisch- und Wurstwaren, Mehl, Butter und Milch galten die meisten Rhenegger als Selbstversorger und bekamen für diese Produkte keine Marken“. Je nach Personenzahl erhielten die Haushalte einen Schlachtschein für ein Tiere mit einem entsprechenden Gewicht. Der Schlachtkörper musste dann von einem vereidigten Wieger gewogen werden. Nach diesem Gewicht richtete sich dann der Zeitraum bis zur nächsten Schlachtung. Bei Getreide und Ölfrüchten bestand für die Landwirte grundsätzliche Ablieferungspflicht. Beim Dreschen war ein vereidigter Wieger anwesend und ermittelte den Ertrag. Ölfrucht, in der Regel Sommerrübsen, Roggen und Weizen mussten grundsätzlich abgeliefert werden. Hafer und Gerste durften im für die Viehfütterung erforderlichen Umfang behalten werden. Für Backwaren und Mehl bekamen die Berechtigten Mahlkarten. Mit diesen lieferten sie die entsprechenden Getreidemengen an die Mühle und bekamen ihr Mehl. Das Mehl für die zugeteilte Brotmenge lieferte der Müller direkt an den Bäcker. Da für die anfallende Milch auch Lieferpflicht bestand, bekamen die Lieferanten ihre zustehende Ration Butter und Käse aus der Molkerei. Für Schuhe und Kleidung konnte der Bürgermeister bei Vorliegen der Berechtigung -das war nach Berufsgruppen, Alter und Geschlecht unterschiedlich- Bezugsscheine ausstellen. Bei Kartoffeln gab es für die Landwirte je nach Betriebsgröße die Auflage, eine bestimmte Menge abzuliefern. Hier gab es für den Eigenbedarf keine Regelung.

Trotz all dieser aufwendigen und umständlichen Regelungen war aber bei manchen Artikeln wegen fehlendem Bestand nicht immer die Einkaufsmöglichkeit gegeben. Im Laufe der Kriegsjahre wurde die Versorgungslage durch verschiedene Umstände immer schwieriger. In den Städten war eine Unterversorgung, die man auch schon Hunger nennen konnte, festzustellen. Wer einen eigenen Garten hatte, versuchte zumindest hieraus seine Grundversorgung an Gemüse, Beeren, Obst und Kartoffeln zu verbessern. Oft war der Garten auch Voraussetzung für die Haltung von Schlachtkaninchen oder einigen Hühnern zur Eierversorgung. Weiter gab es für alle Kleiderkarten und für Personen über 18 Jahren Raucherkarten für entsprechende Monatsrationen. Heizmaterial war ebenfalls bewirtschaftet und knapp.

Die schwierigste Ernährungssituation gab es in den Städten noch nach Kriegsende in den Jahren 1945/46. Hier trieb der Hunger viele zu regelmäßigen Hamstertouren“ in die Dörfer mit der Hoffnung auf eine Hand voll Kartoffeln, etwa Getreide oder einer Speckschwarte. Die große Zahl derer, die aus Not versuchten, ihre Versorgung etwas zu verbessern, machte es den Landwirten selbst bei bestem Willen unmöglich allen zu helfen. Als weniger schöne Nebenerscheinung aus dieser Zeit ist aber auch allen der Tausch von Nahrungsmitteln gegen andere Bedarfsartikel in Erinnerung geblieben. Bitter war es dann, wenn Müttern aus Sorge um ihre Familien ihre persönlichsten Dinge, die sie eigentlich auch selbst brauchten, gegen Lebensmittel eintauschten. Hier hörte man auch hin und wieder, dass ein Selbstversorger“ seinen Vorrat mit einer Schwarzschlachtung“ aufbesserte. Manchmal ließ ein Bedarf an Baumaterial oder ähnlichen Betriebsmitteln sich nur mit Tauschgeschäften gegen Lebensmittel befriedigen. Alle atmeten auf, als 1949 die letzten Bewirtschaftungsregeln aufgehoben wurden. Für die Mehrheit blieb der Hunger lange in Erinnerung. Für Selbstversorger war sie noch nicht ganz so dramatisch wie für Normalverbraucher“ gewesen. Für alle war es eine harte Zeit.

Als erste Personen aus kriegsgefährdeten Gebieten wurden im Dezember 1939 auch in Rhenegge vor dem Frankreichfeldzug aus dem Saarland evakuierte Frauen und Kinder untergebracht. Da ihre Zahl überschaubar war, bereitete die Unterbringung noch keine großen Schwierigkeiten. Mit Ende des Frankreichkrieges konnten sie auch schon wieder in ihre Heimat zurück kehren. Je länger der Krieg aber dauerte, die Ernährungslage schwieriger wurde, die Luftangriffe auf deutsche Städte zunahmen und härter wurden und dann das Kriegsgeschehen sich in Deutschland abspielte, desto mehr flüchteten Frauen und Kinder aufs Land. Vor allem suchten in Rhenegge auch in vielen Familien Verwandte aus dem Ruhrgebiet und Wuppertal Schutz und wurden aufgenommen. Im Dezember 1944 kamen noch einmal 20 Flüchtlinge aus dem Saargebiet. Dazu kamen im Herbst 1944 auch evakuierte Frauen und Kinder aus dem Aachener Raum und dem Rheinland. Nach Kriegsende im Mai 1945 zogen von diesen Familien die meisten wieder in ihre Heimat zurück. Einige Familien haben noch einige Jahre in Rhenegge gewohnt. Dies waren z.B. die Familien Hermann Ducks, Holy, Zeits, Jung, Jesinghausen, Schäfer, Bürgener, Müller, Pier, Schöpe und Hy-ronimus. Aber auch aus der Gruppe mit verwandtschaftlichen Beziehungen blieben noch Familien längere Jahre hier. Zu vielen aus allen Gruppen bestehen heute noch persönliche Bindungen.

Im März 1946 kamen die ersten Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland hier an. Es waren 2 Transporte mit 74 Personen aus den Orten Franzensbad, Eger und Mährisch-Schönberg. Im August des gleichen Jahres folgt dann noch ein Transport aus dem gleichen Gebiet. In Rhenegge lebten jetzt statt vor Kriegsbeginn 524 und jetzt 670 rd. 150 Einwohner mehr. Da war es für Bürgermeister Habermann nicht immer leicht, den erforderlichen Wohnraum zu finden. Oft mit gutem Zureden, aber sehr oft auch mit viel Ärger gelang ihm dies. Da die Rhenegger Häuser zu dieser Zeit eigentlich alle nur für eine Familie und teilweise zusätzlichem Raum für Beschäftigte eingerichtet waren, gab es kein abgeschlossene weitere Wohneinheit, keine weitere Toilettenanlage, keine weitere Waschgelegenheit und in den meisten Fällen auch keinen weiteren Raum mit Wasseranschluss im Haus. Es gab Fälle, in denen Vertriebenenfamilien mit 4 Erwachsenen ganze 16 m2 zum Wohnen, Schlafen, Kochen und Essen zur Verfügung hatten. Bei dieser Situation waren Spannungen an der Tagesordnung. Aber auch hier gab es mit der Zeit Erleichterungen. Zusätzlicher Wohnraum wurde geschaffen und sanitäre Anlagen und Wasserinstallation eingerichtet. Auch das gegenseitige Kennenlernen und der Einblick in die Situation des anderen half das erzwungene Miteinander erträglicher zu machen. Manche Vertriebene fanden Arbeit bei Bauern und diese in vielen Fällen erfahrene Helfer. Wenn im Dorf gedroschen wurde und Hilfe fehlte, waren kundige Vertriebene zur Stelle. Es gab unter ihnen erfahrene Gespannführer und sachkundige Melker. Die letzteren führten zu dieser Zeit die Berufsbezeichnung Schweizer“. Unter diesen Umständen war es teilweise selbstverständlich, dass ihnen als Eohn nebenbei etwas Milch und Kartoffeln, manchmal auch etwas von der Schlachte“, für ihre Familien mitgegeben wurde. Daneben wurden auf den abgeernteten Feldern Ähren und Kartoffeln nachgelesen. In den Wäldern wurden nicht immer zur Freude der Förster Bucheckern geklopft um etwas Öl aus ihnen zu gewinnen. Zu all diesen Aktionen trieb der Mangel an Lebensmitteln. Berichte über persönlich Erlebtes aus dieser Zeit befinden sich im Aufsatz von Kurt Emde über die Kriegs- und Nachkriegsjahre in Rhenegge.

Die meisten Vertriebenen in Rhenegge waren katholisch. Vor dem Bau einer eigenen Kirche in Adorf hielten sie ihren Gottesdienst hier in der evangelischen Kirche ab. Einen Arbeitsplatz mussten sich die meisten von ihnen in anderen Orten, vorrangig der Grube in Adorf und der Conti in Korbach, suchen. Das veranlasste viele, nachdem sich die Verhältnisse normalisierten, sich eine Wohnung in Arbeitsplatznähe zu suchen. Mehrere Familien wählten aber unser Dorf als Wohnsitz. Zu ihnen gehörten die Familien Zaddach, Selch, Wairer und Hiemer. Aus Vertriebenen wurden Neubürger. In allen Rhenegger Vereinen, besonders aber auch im Sportverein, waren sie aktive Mitglieder. Für die Kinder gab es bald keine Unterschiede mehr und heute gibt es darum nur noch Rhenegger. Viele Verzogene besuchen heute noch aus Verbundenheit ihre Übergangsheimat.